the neon gods I made


Das kreative Potenzial des Zufalls hat Rolf Sellmann wiederholt genutzt, um in seinen Bildern neue Wege zu gehen, um die weidlich ausgelatschten Trampelpfade der diversen „…ismen" der modernen Kunst zu verlassen und andersartige Schneisen ins visuelle Dickicht zu schlagen. Zuletzt in seiner Serie „whatever remains“. Mit der Folge „the neon gods I made“ entwickelt er dieses Prinzip weiter – konsequent, einfallsreich und ohne jede Scheu vor grellen Effekten.

„Who’s Afraid of Red, Yellow and Blue“, „Wer hat Angst vor Rot, Gelb und Blau“, so lautet ein berühmter Bildtitel von Barnett Newman, der auf diese Weise die Wahrnehmung der Primärfarben zur Mutprobe erklärte. „Who’s Afraid of Neon Color“ könnte Sellmanns Serie heißen, und die ‚Angst‘ wäre in diesem Fall sogar noch begründeter als bei Newman, dem US-Farbfeldmaler, denn von den Neonfarben in den abstrakten Bildern und Objekten des Berliner Künstlers geht eine derart grelle, ja schreiende Wirkung aus, dass man unwillkürlich zwei, drei Schritte zurücktritt; so intensiv, geradezu physisch ist die Leuchtkraft der Werke.

Sellmann hat sich allerdings für einen anderen Titel entschieden, für ein abgewandeltes Zitat aus einem Lied von Simon and Garfunkel. Aus deren Kultsong „The Sound of Silence“ entlehnte er die Zeile „and the people bowed and prayed / to the neon god they made“. Eine freie Übersetzung könnte lauten: „Die Menschen dienen und unterwerfen sich dem Götzen des modernen Lebens, den sie selbst erschaffen haben.“

Bedeutet das also, dass Sellmann seine Malerei als Götzendienst versteht, weil er dieser Serie den Titel „the neon gods I made“ gab? Gewiss nicht. Zwar zieht auch ein Götze, also die Darstellung einer Gottheit in einem kultisch verehrten Bildwerk, die Blicke magisch auf sich, aber diese Art der Wahrnehmung blendet über die Wahrheit hinweg und führt in die Irre.

Anders die Kunst, die unsere Wahrnehmung erweitern und auf diese Weise gleichsam befreien will. Bei den Arbeiten der Serie „the neon gods I made“ handelt es sich in erster Linie um eine Befreiung von der Routine des Sehens. In einem ersten Schritt trägt der Künstler mit verschieden großen Pinseln einige wenige Farben (manchmal auch nur eine) auf monochrom grundierte Leinwände auf. Teils werden die Ränder einbezogen, wodurch der Eindruck entsteht, man habe es eher mit Objekten zu tun als mit Bildern. Dabei erfolgt der Farbauftrag intuitiv und dynamisch. Dieser Rohzustand wird in einem zweiten Schritt mit Edding-Stiften bearbeitet und hervorgehoben. Somit vereint Sellmann zwei grundlegende Strategien der modernen Kunst und macht daraus einen einheitlichen Prozess. Die Rede ist vom Automatismus, den vor allem die Surrealisten benutzten, um ihrer Kunst Spontaneität zu verleihen, und von der kontrollierten Komposition, bei der jeder Pinselstrich eine bewusste Setzung ist. In gewisser Weise eine Quadratur des Kreises. Dass die Serie „the neon gods I made“ gleichwohl wie aus einem Guss erscheint, spricht für die Praxistauglichkeit dieses ‚Götzendienstes‘ mit Signalfarben.

  • disintegration; 120 x 100 x 4 cm; MT auf LW, 2019
    disintegration
  • l.o.p.3; 120 x 100 x 4 cm; MT auf LW, 2019
    l.o.p.3
  • l.o.p. pink sm 1; 50 x 40 x 4 cm; MT auf LW; 2019
    l.o.p. pink sm 1
  • n.g.b. 2; side view; MT auf MDF; 30 x 30 x 4 cm; 2019
    n.g.b. 2